Als Personalberater führe ich regelmäßig viele Interviews und frage seit Jahren systematisch alle Kandidaten·innen, was sie zu einem Wechsel in eine andere Stelle oder zu einem neuen Arbeitgeber motivieren könnte. Nun habe ich 150 Gespräche aus den Jahren 2019 und 2020 analysiert und eine Top-10-Liste der Wechselmotive zusammengestellt. Die Interviews wurden mit Kandidaten·innen für Positionen in Marketing & Vertrieb mit Berufserfahrung und aus mittleren Führungsebenen geführt (keine Berufseinsteiger und keine C-Level-Positionen).
Sie ist sicher nicht zu 100% repräsentativ, aber sie liefert Denkanstöße. Und zwar nicht erst für die Stellenausschreibung oder die Unternehmensvorstellung im Einstellungsgespräch.
Sondern auch für das Employer Branding, eine Strategie zur Mitarbeitergewinnung, die Ausgestaltung von Positionen sowie Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung. Schließlich sind Mitarbeitergewinnung und -bindung die beiden Seiten der selben Medaille.
1. Spannende + Interessante Aufgaben
Dies ist das am häufigsten – nämlich in 60% aller Interviews – genannte Motiv für einen Jobwechsel: spannendere + interessantere Aufgaben (als in der aktuellen Position). Klingt erst mal banal. Und außerdem beliebig, hat es doch für Jede und Jeden eine völlig andere Bedeutung!
Allerdings gibt es sich wiederholende Muster. Die Aufgabe sollte möglichst diese 3 Merkmale erfüllen:
- Der Job muss eine echte HERAUSFORDERUNG darstellen. Für manche gilt zwar „gerne am Limit“, die Aufgabe sollte aber dennnoch keine dauerhafte Überforderung darstellen und keine völlig unrealistischen Ziele beinhalten).
- Die WIRKSAMKEIT des eigenen Handelns sollte erkennbar und der Erfolg durch die Mitarbeitenden selbst beeinflussbar sein.
- Die Aufgabe selbst sollte SINNVOLL erscheinen und zwar unabhängig von externer Belohnung (gemeint ist hier natürlich der Kontext der Unternehmensziele).
2. Den Horizont erweitern, etwas ganz Neues machen oder kennenlernen
Jeder kennt dieses Gefühl: ich-möchte-etwas-Neues-machen. Das ist zwar oft auch im gleichen Unternehmen möglich. Aber wer erfolgreich seinen Weg gegangen ist, wird intern eher befördert und ermutigt, weiter in die eingeschlagene Richtung zu gehen (d.h. mehr vom Gleichen zu tun …).
Daher wollen manchen Menschen – unabhängig vom Alter und der Karrierephase – von Zeit zu Zeit die Firma oder die Branche wechseln.
Sie können solche Bewerber·innen für Ihr Unternehmen gewinnen, indem Sie Ihnen ein Stück weit entgegenkommen. Denn jemand der (oder die) eine Branche oder Funktion wechselt, bringt vielleicht nicht die gleiche Erfahrung mit wie Insider·innen, dafür aber vielleicht eine neue Sichtweise und neue Ideen.
Das kann eine Win-Win-Situation für beide Seiten werden.
3. Perspektiven für die persönliche & fachliche Weiterentwicklung
Die meisten Menschen möchten sich beruflich & persönlich weiterentwickeln. Sei es durch neue praktische Erfahrungen, Weiterbildungen, abwechslungsreiche Tätigkeiten, neue Aufgaben, wachsende (Personal-) Verantwortung oder Beförderungen und Gehaltserhöhungen.
Soweit so bekannt … hier möchte ich jedoch kurz den Zusammenhang mit dem Thema „Recruiting“ beleuchten. Wenn Sie nämlich jemanden für Ihr Unternehmen zu gewinnen wollen, müssen diese Perspektiven
- besser sein als beim jetzigen Arbeitgeber,
- glaubhaft & wirkungsvoll kommuniziert werden und
- sich nach der Einstellung als realistisch erweisen.
Zum Glück haben Sie nicht erst beim Schreiben der Stellenanzeige daran gedacht, sondern bereits bei der Gestaltung Ihrer Organisationsstruktur und der einzelnen Job-Descriptions 😉
4. Mehr Gestaltungsspielräume und Kompetenzen für eigene Entscheidungen
Menschen wollen auch etwas bewegen. Sie wollen spüren, welche Auswirkung ihre Entscheidungen haben. Sie brauchen Feedback und Freiräume, um sich beruflich zu entwickeln und Freude an der Arbeit zu haben.
Und sie berücksichtigen die Möglichkeiten dafür bei der AUSWAHL ihres (neuen) ARBEITGEBERS. Nicht nur Unternehmen, die Mitarbeiter·innen mit stark nachgefragten Qualifikationen suchen (z.B. im Online-Marketing, Sales oder Web Development), tun sich leichter, wenn sie ihnen solche Freiräume (nicht nur auf dem Papier) gewähren und im Bewerbungsprozess herausstellen.
5. Strukturen & Atmosphäre am Arbeitsplatz
Start-Ups-sind „en Vogue“. Sie versprechen Freiräume und eine steile Lernkurve, lernen aber selbst noch. Konzerne dagegen haben oft feste Regeln für jede Lebenslage, auch für Mitarbeiterführung.
Unternehmen sind für neue Mitarbeiter·innen aber genau dann besonders attraktiv, wenn ihnen die BALANCE gelingt mit:
- funktionierenden Prozessen & Strukturen UND Flexibilität
- Führungskräften die (Unternehmens-) Ziele klar machen (auch vorleben) UND Freiräume zulassen
- Kollegialer Atmosphäre, fairem internen Wettbewerb, ohne „Ellenbogenmentalität“ (alles Führungsthemen!)
6. Platz – Besseres GEHALT
Dass „mehr Gehalt“ erst auf dem 6. Platz kommt, setzt natürlich voraus, dass sowohl das aktuelle Gehalt als auch die angebotene Steigerung „branchenüblich“ sind. Personen, die sich stark unterbezahlt fühlen, sind oft sensibler für Gehaltssteigerungen 😉
Aber es spiegelt eben auch wieder, dass die Aussicht auf mehr Gehalt nicht der alleinige – nicht mal der wichtigste – Entscheidungsparameter bei einem Arbeitsplatzwechsel ist. Siehe Platz 1-5.
7. Platz – Stärkere Identifikation mit dem Unternehmen, der Branche, den Produkten
Unter diesem Gesichtspunkt bieten sich viele Chancen für das Personal-Marketing oder Employer Branding. Nicht nur für unternehmen mit bekannten Marken, emotionalen Produkten oder prominenten Führungspersönlichkeiten.
Man kann sich z.B. als regional stark verwurzelte Firma positionieren, als verantwortungsbewusster Arbeitgeber, als „Hidden Champion“, als zukunftsorientiertes Wachstumsunternehmen, als nachhaltig wirtschaftend, mitarbeiterorientiert, innovativ, etc. … wichtig ist nur, dass man es ernst meint und den schönen Worten auch Taten folgen lässt.
8. Platz – Mehr Verantwortung (inkl. Personalverantwortung) übernehmen
Dass sich Menschen weiterentwickeln wollen (auch immer wieder etwas Neues lernen möchten), klang oben schon an (Platz 1-3). Wenn das am aktuellen Arbeitsplatz dauerhaft unmöglich erscheint entstehen Wechselwünsche.
Hier kann man beim Recruiting ansetzen und gezielt auf Bewerber·innen zugehen, denen man ein passendes Angebot machen kann. Das setzt allerdings einen gewissen Aufwand voraus. Mit Active Sourcing kann man die richtigen Persönlichkeiten finden und ansprechen.
9. Platz – Bessere Work Life Balance
Dieser Wunsch liest sich ja aus Arbeitgebersicht erst mal so, also ob man damit nicht offensiv werben möchte … aber man kann hier auch durch mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und mit Remote Work (früher: Home Office) punkten.
Zwar wurde das Thema „Flexibilität“ schon vor der Corona-Pandemie immer wichtiger. Aber in den letzten Monaten haben es immer mehr Firmen gezwungenermaßen ausprobiert und viele haben festgestellt: es geht ja doch ziemlich gut!
Und: es wird auch nach Corona nicht so einfach wieder verschwinden. Die Zukunft könnte „hybird“ werden. D.h. eine Mischung aus Präsenz und Remote Work. Und Unternehmen, die Fachkräfte finden & binden wollen, können sich dem sowieso nicht verschließen.
10. Platz – Höhere Sicherheit des Arbeitsplatzes
Zum Thema „Arbeitsplatzsicherheit“: die Auswertung bezieht sich auf Interviews aus den Jahren 2019 und 2020. Aber im Verlauf des Jahres 2020 habe ich bemerkt, dass das Thema im Frühjahr und im Herbst wichtiger wurde, weil einige wg. des Lockdown und Rezessionsängsten das Risiko einer Probezeit scheuten.
Wie dem auch sei (oder sein wird, nach der Pandemie). Das Thema Sicherheit spielt eine gewisse Rolle, aber nicht die erste Geige. Und es macht einen Unterschied, ob die Bewerber·innen gerade die Uni verlassen haben (geringere Priorität), eine Familie gründen und ein Haus kaufen wollen (hohe Priorität) oder mit Anfang 50 noch mal eine neue Herausforderung suchen (mittlere Priorität).
Das Wissen um diese wichtigen Aspekte sollten Sie beim Recruiting & Employer Branding und auch bei Ihren Bemühungen um die Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen immer berücksichtigen.
Im Recruiting & Employer Branding heißt das in erster Linie:
- Die Botschaft muss ankommen (d.h. potenzielle Bewerber·innen müssen von den großartigen Möglichkeiten erfahren, die Ihr Unternehmen bietet),
- sie muss glaubhaft kommuniziert werden (in Stellenanzeigen und auf Karrierewebseiten wimmelt es nur so von den tollsten Jobs, aber Bewerber*innen suchen nach authentischen Informationen) und
- sie darf sich bewahrheiten sonst kommt es zu Enttäuschung.
Man braucht also glaubwürdige Testimonials (z.B. derzeitige Mitarbeiter·innen), Kommunikationskanäle oder auch Vermittler (z.B. eine Personalberatung), die den Kontakt zu Kandidaten·innen aufbauen.
Aber wie erfahren die Bewerber·innen davon?
Typischerweise in der Stellenanzeige, auf Ihrer Karrierewebseite oder im persönlichen Gespräch. Hierbei ist Vertrauen wichtig. Bewerber·innen sind hier mglw. skeptisch, ob alles stimmt, womit in der Stellenanzeige oder auf einer Karrierewebseite geworben wird und suchen nach AUTHENTISCHEN Informationen über mögliche Arbeitgeber (gerne auch über Google oder Soziale Medien).
Hier kann ein persönlicher Kontakt – früh im Prozess des gegenseitigen Kennenlernens – z.B. über einen internen Recruiter oder eine externe Personalberatung vertrauensbildend wirken. Das kann dafür sorgen, dass sich mehr Personen für die Stelle interessieren und bewerben.